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Dieses Gedicht bekam ich auf einem geführten Stadtrundgang durch Orsoy vom Autor selbst.
Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert.

Orsoy

Kleine Stadt, Kleinstadt,
groß für mich damals.
Alles war zu haben.
Alles konnte man kaufen,
alles reparieren lassen.
Alle konnte man kennen.
Und überall durften Kinder
die Nase reinstecken.
Auch in das Schlachthaus von Adam Bongert,
der leicht stotterte,
aber flüssig singen konnte
im Männergesangverein Orsoy.
In die Backstube von Heinrich Münster
in der Kuhstraße
oder die von Quintin Schmitt,
wo die Leute morgens um fünf
schon ihre Brötchen kauften
und Quintin von der Arbeit abhielten,
der eigentlich lieber Autoschlosser
geworden wäre.
In Kleintjes' Reparaturwerkstatt,
wo die Orsoyer Fahrräder
zur Reparatur landeten,
und wo es vorm Laden in der Egerstraße
literweise Benzin gab.
Bauern gab es noch
mitten in der Stadt.
Zwei Susmanns, jeder mit Pferdekarren
und den großen Karrenrädern.
Vier Schuhmacher,
die sich die Orsoyer Sohlen
und Absätze teilten.
Die Lebensmittelläden der Geschwister
Grutkamp,
der drei Giesen-Schwestern,
von Peters, Schumann, Nürenberg und
Surkamp.
Kneipen en masse:
Hermann Fischer mit seinem "Rheingarten",
das "Haus Germania" und die Kneipe
der alten Frau Sistig,
"Mütterlein" Hoorens,
das "Alte Fährhaus" von Hein Liesefeld,
der an seinem Namenstag
halb Orsoy frei hielt.
Die Kneipe von Becker
auf der Kuhstraße
und die "Alt-Orsoyer Schänke"
von Hugo Kersken nicht zu vergessen.
"Kommen Sie gut nach Hause",
sagte er mit einer leichten Verbeugung.
Ich denke an Karl Schumann,
Herr über zwei Pferde,
die auch den Leichenkarren zogen
und die toten Orsoyer
auf die zwei Friedhöfe brachten,
evangelisch und katholisch,
jeden in seine Ecke.
Einmal scheuten die Pferde
und galoppierten mit dem Sarg bis Pelden
und kamen dort zum Stehen.
Mein Gott, da war noch was los.
Ich denke an Franz Hauser
und sein Milchgeschäft
und seine Frau,
die immer "furchtbar" sagte.
Am Sonntagmorgen war der Laden
für eine Stunde geöffnet.
Dann versorgten sich die Orsoyer
mit Schlagsahne für die Kirschtorte
am Nachmittag.
Für Blumen ging man zu Ewalds,
die so ein wunderbares Maschinchen hatten
zum Kräuseln von Krepppapier
für Blumentöpfe, Farbe zum Aussuchen.
Oder zu dem uralten Otto Kersken,
Onkel von Hugo,
so eine Art Blumendoktor,
der die lateinischen Namen der Blumen
immer parat hatte
und mit Belehrungen nicht sparte:
"Blumen riechen nicht, sie duften."
Und seine kleine Frau.
Die schlurfte hinter ihm her
mit ihrer dicken Brille
und ging ganz nah an alles heran,
auch an die Kunden.
Drei Läden gab es für Zigarren,
mindestens drei.
Den von Konrad Fällgenträger
mit der heiseren Ladenschelle
und seiner ebenso heiseren Frau,
lang und dürr
und immer mit einem Wollschal um den Hals.
In van Marwicks Schaufenster
auf der Rheinstraße
waren die Zigarren aufgespießt
und angeraucht so eineinhalb Zentimeter.
Das gab es nur bei van Marwicks.
Theo Peters verkaufte auch Zigarren
und kegelte montags
im Kegelklub "Vater Rhein".
Fritz Oelinger, der Eisenmann,
der Schmied, rauchte Zigarren,
aber kegelte nicht,
sprach auch nicht viel,
auch nicht beim Pferdebeschlagen.
Ich glaube, die Pferde
waren ihm lieber als die Menschen.
Und wenn Theo Imgrund
abends vor seiner Drogerie saß
mit Frau Imgrund und den Kindern
und "N'Abend" sagte,
dann kam eigentlich nie
Fritz Oelinger vorbei.

      Heinz van de Linde

 

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© 2000-2003  Maria Oelinger
Dipl.-Math.
Familiengeschichte / Gedicht ohne Reime Letzte Änderung: 22.08.2003
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